Taubertal 100

"Kopfüber in die Hölle und zurück"

An diesen alten Song von den Ärzten musste ich bei KM 70 denken, als ich mich zurückgekämpft hatte und es wieder besser lief...
Doch von Anfang: Wieso einen Ultra-Marathon über 100km laufen?
Hierüber können Bücher geschrieben werden, meine Antwort lautet schlicht: Nach meinen letzten Marathons habe ich überlegt entweder deutlich schneller zu werden oder länger zu laufen. Das Training auf Letzteres schien mir attraktiver.
Nach einem Scan zu Ultras im Herbst fiel mir der Taubertal 100 auf: Ein passendes Datum, ein relativ flaches Profil und viele Verpflegungsstationen. Es gibt insgesamt vier Distanzen auf dem Punkt-zu-Punkt Lauf: 50, 71, 100 und 161km. Die 50 waren mir zu nah an den 42, 71 waren mir zu sehr in der Mitte, also sollten es die 100km werden - klingen auch so schön!
Die Vorbereitung war intensiv: 80-130 Laufkilometer/Woche waren neben der Arbeit abends/am Wochenende oder auch Mal früh morgens um 4 Uhr vor der Arbeit zu absolvieren. In den Mittagspausen ging es zusätzlich oft ins Fitness-Studio zum Stabi-Training und Rollen. Glücklicherweise kam ich ohne Krankheit und Verletzung durch Vorbereitung und Rennen, was sicher auch hieran lag.
Ebenfalls in der Vorbereitung schaffte ich eine Woche vor dem Rennen meine erste Sub-40 mit 37:51min auf 10km in Berlin auf der Bahn, was mich zusätzlich pushte.
Am 06.10. war ich schon um 02:45 Uhr wach. Nach dem Frühstück begann der Tag mit einem extrem atmosphärischen Fackellauf vom Hotel zum Start. Diese 2km zählten übrigens noch nicht zur Strecke :)
Mit Stirnlampen ausgestattet war um kurz nach 6 Uhr Start. Durch die Dunkelheit über lange mit Nebel bedeckte Felder und für mich angenehm niedrigen Temperaturen starteten wir. Nach etwa 90min ging die Sonne auf, was ebenfalls ein tolles Bild war. Ich lief in einer Gruppe, die es gut meinte und durch ein leicht welliges Profil zu Beginn schneller, als geplant. Bereits bei KM 45 hatte ich die erste, kleine Krise, die mich tierisch ärgerte.
"Verpflegen, Musik auf die Ohren, sammeln und durchatmen, der Tag wird noch lang."
So würde man normalerweise denken und agieren. Es ansatzweise umzusetzen, brauchte ich eine halbe, sehr emotionale Stunde. Diese war anstrengend, brachte gleichzeitig aber auch Energie und zeigte mir, dass so ein Lauf trotz konsequentem Training einiges auf unterschiedlichen Ebenen abverlangt.
Das erste Zwischenziel bei KM 50 erreichte ich in 4:58h. Mittags wurde es mit 26 Grad warm, doch es gab super Verpflegungsstationen: Alle 5km gab es diverse Getränke, alle 10km Getränke und Essen. Hier habe ich vor allem zu Kartoffelbrei mit Kokosfett und Fruchtjoghurts gegriffen. Kokosfett hat eine sehr hohe Energiedichte und einen entsprechend hohen Brennwert von etwa 900 kcal pro 100g!
Die Kilometer 55-70 waren wirklich mühsam, mein Kreislauf war eher im Jenseits, bei einer Getränkestation wollte ich mich an einem Tisch abstützen und bin dabei beinahe über diesen geflogen. Die Bezeichnung "Ultra"-Marathon kommt nicht von irgendwo her.
Spannenderweise ging es ab KM 70 wieder bergauf, ich fand einen langsameren, aber gleichmäßigen Rhythmus und kam gut voran. Magenprobleme hatte ich glücklicherweise ebenso wenig wie Krämpfe. Lediglich mein Kreislauf und meine Muskulatur stellten mich vor Herausforderungen. Über 100km auf Asphalt zu laufen macht sich doch bemerkbar, wenngleich die Strecke sehr abwechslungsreich ist und durch schöne, mittelalterliche Städtchen und Schlossparks führt.
Die Orga war wirklich spitze, die Strecke war einwandfrei ausgeschildert und mit Boden-Pfeilen an den Abbiegungen gekennzeichnet, sodass ein Verlaufen fast unmöglich ist.
Eigentlich hatte ich die Zielzeit irgendwann abgeschrieben und mich auf das Finishen konzentriert, doch als mich bei KM 92 ein recht junger Mitstreiter auf einer 10%-Rampe überholte, dachte ich erst, er sei ein Pacemaker. So frisch konnte der nicht mehr sein! Adieu, Vernunft – es geht nochmal los! Bergab lief ich an ihn ran und auf den letzten, halben Kilometer lieferte ich mir noch ein Sprint-Duell mit ihm, das ich mit einer Spitzengeschwindigkeit von unter 3min/km gewann und dabei fast noch Passanten umrannte. Der Kollege war, wie wir danach feststellten, eine Altersklasse über mir...
Nach insgesamt 11:25h (unsere Uhren hatten 103km getracked), 10.900 kcal und einer durchschnittlichen HF von 140S/min hatte ich meinen ersten Ultra ins Ziel gebracht und wurde wie alle 100km und 100mi Finisher zum Ritter von Rothenburg geschlagen. Die Zielzeit reichte dabei für den 3. Platz in meiner Altersklasse.
Insgesamt ein sehr hartes, aber auch erlebnisreiches und emotionales Rennen, das ich nie vergessen werde.