Austria Race Across Burgenland – 100km Nightrun

2020, was ein Jahr.

Aus sportlicher Sicht für mich besonders: Nachdem ich 2019 bei meinem ersten Ironman aufgrund eines Bänderrisses und Schienbeinbruchs nicht starten konnte, sollte es 2020 werden. Der reguläre Termin im Juni konnte ebenso wie die allermeisten anderen Wettkämpfe aufgrund der Pandemie nicht stattfinden. Die Kommunikationspolitik der Marke Ironman war sicherlich nicht die Beste, innerlich hatte ich trotzdem einen letzten Funken Hoffnung, dass die avisierte Verlegung auf September unter einem bestimmten Hygienekonzept noch stattfinden könnte und bekanntlich ist kein Training "umsonst".

Dass der IM Hamburg für mich das 3. Mal in Folge nicht stattfinden konnte war keine Überraschung, aber doch eine Enttäuschung.

Virtual Races oder DIY-Rennen können eine Abwechslung und Ersatz sein, kamen für mich als Premiere auf der Langdistanz aber nicht in Frage. Dafür habe ich mich an mein Ultra-Abenteuer 2018, den Taubertal 100, erinnert und schnell bekam ich Lust wieder länger zu laufen. Statt 12 Wochen laufspezifischer Vorbereitung waren es diesmal nur 6, aber da ich schon vieles, auch für Athletik und Beweglichkeit getan hatte, fand ich es ein Experiment wert.

Das Austria Race Across Burgenland lag terminlich wie der zunächst verlegte und dann abgesagte Ironman Hamburg. Es gibt im Burgenland den 100km Nightrun von Deutsch Gerisdorf nach Kalch sowie einen Ultralauf über 218km von Kittsee nach Kalch.

Da für den Nightrun nur 18 Teilnehmer gemeldet waren und sich das Feld bei diesen Rennen schnell entzerrt, fand ich eine Teilnahme gut vertretbar. Superspreading wäre bei größeren Wettkämpfen einer kontroverseren Diskussion würdig.

In Österreich angekommen, kochten Julie und ich erstmal den altbewährten Kartoffelbrei mit Kokosfett und Himalaya-Salz auf einem Gaskocher auf dem Balkon unseres Hotelzimmers.

Von Freitag auf Samstag konnte ich nur 5 Stunden schlafen. Unser Late-Check-Out war um 12:00 Uhr, Start um 23:30 Uhr. Wir gingen in der Zwischenzeit in eine Therme und ich versuchte noch ein, zwei Stunden in einem Ruheraum zu schlafen. Nach einer knappen Stunde wurde ich von einem sehr lauten und starken Gewitter geweckt und wir hofften, dass dieses wie der Starkregen bis zur Nacht vorübergehen würde.

22 Uhr: Wir befinden uns in einem Feuerwehr-Häuschen. Die Veranstalter sind noch nicht da, freundliche Feuerwehrleute bieten uns Kaffee an. Es fühlt sich an wie ein Traum. Die Nervosität steigt. Nachdem die Startnummernausgabe und ein knappes Briefing stattgefunden haben, die Warnwesten übergezogen und die Stirnlampen eingeschalten sind, geht es los.

Die ersten Kilometer muss ich mich mit Blick auf die Uhr bremsen. Die Worte des Veranstalters des Taubertal 100 sind mir im Gedächtnis geblieben: "Wenn es euch während eines Ultras (zu) gut geht, macht euch keine Sorgen – es geht vorbei!"

Nach 5km kommt ein knackiger Anstieg. Durch das Höhenprofil vorgewarnt keine Überraschung, die Steigung hat es dann aber doch in sich. Bis KM 45 läuft alles recht locker. Die Nacht ist gut aushaltbar, angenehme Temperaturen, der Regen hat aufgehört, über uns stehen die Sterne und der Mond, am Horizont sind Blitze zu sehen, über den Feldern liegt Nebel und einige Läufer vor uns erinnern an Glühwürmchen. Dann wird es muskulär schwerer und die Müdigkeit stärker. Der Gedanke, dass noch knapp 60km vor mir liegen, lässt mich kurz stehenbleiben und der Kreislauf reagiert prompt, ich muss kurz in die Hocke gehen. Ein Läufer überholt mich und klopft mir stumm auf die Schulter.

Nicht nachdenken, weiterlaufen. Doch mein Magen macht Probleme und ich stehe vor Komplikationen, die ich noch bei keinem Rennen zuvor hatte. Nicht nachdenken, durchbeißen. Bei KM 57 gibt es Cola und Salzbrezeln an der VP, ich finde wieder ins richtige Laufen. Das wellige Profil zehrt. Bei Radrennen/-marathons mag ich diese Profile, beim Laufen gibt es bergab allerdings keine Erholungsphasen.

Die Sonne geht auf. Ein tolles Bild. Trotz allem ging die Nacht subjektiv recht schnell um.

KM 80, die letzte VP. Es gibt Salzkartoffeln, Cola-Fläschchen, Wassermelone. Nicht zu lange verweilen, nicht zu viel essen. Erstaunlicherweise kann ich nochmal ca. 14km gut laufen wenngleich zum Schluss nochmal ein schöner Anstieg die Strecke komplettiert. Vor einer Kirche steht ein Brunnen mit kühlem Wasser. Ich erfrische mich kurz und schreie Julie zu es mir gleich zu tun. Zwei ältere Damen sitzen auf einer Bank und fragen sich kopfschüttelnd, wie man sich so etwas antun könne. Möglicherweise waren vor mir schon andere Teilnehmer am Brunnen…

Nach dem letzten Anstieg bin ich komplett leer, bei bestem Willen kann ich nicht mehr laufen. Die letzten KM muss ich gehen. Es zieht sich wie eine Ewigkeit, doch im Ziel registriere ich: Ich habe trotz vielen, tiefen Tälern meinen zweiten 100km-Ultra-Marathon ins Ziel gebracht und bin dabei erster meiner Altersklasse geworden. Die Nacht hat uns ordentlich zugesetzt, aber auch um eine beispiellose Erfahrung bereichert. Danke für den großartigen und langatmigen Support, Julie!