Rest(form)verwertung zum Herbstanfang

Was tun, wenn die Saisonhighlights abgeschlossen sind, Kopf und Körper aber noch keine Lust auf untätiges Rumliegen auf der Couch und depressive Blicke in den trüben Oktobertag haben? Hier schafft meistens ein spät nachgeschobener Appetithappen in Form eines der zahlreich angebotenen Herbst-(Halb-)Marathons Abhilfe. So nutzte ich spontan mit vier Tagen Vorlaufzeit die Gelegenheit, den frei gewordenen Startplatz eines Vereinskollegen zu übernehmen und im nahen Karlsruhe den flachen und damit laut Höhenprofil vielversprechend schnellen Halbmarathon in Angriff zu nehmen. Ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand die Bestzeit angehen? Wieso nicht. Gesagt, getan, und nach einem reibungslosen Wettkampf, perfektem Lauf-Wetter und gelungener Organisation stand am Ende mit 1:24:04 h tatsächlich „PB“ in der eigenen Excel-Statistik.

Derart motiviert ging ich zwei Wochen später dann das letzte große Projekt für 2019 an. Zum Black Forest Trailrun Masters hatte ich eigens Lauffreunde aus der alten Heimat akquiriert, um gemeinsam beim über zwei Tage stattfindenden Etappen-Ultralauf in Simonswald teilzunehmen. Dieser startete am Samstag mit dem „Einlaufen“ über 57 km/2.400 HM, um im Finale am darauffolgenden Sonntag über 35 km/1.850 HM abzuschließen. In der Summe machte dies 92 km bei 4.250 HM, auch für mich in dieser Dimension eine neue Erfahrung. Leider lies uns das Wetter gänzlich im Stich, und die versprochenen warmen, sonnendurchfluteten Trails und Simonswälder Höhenzüge, mit denen ich meine Freunde arglistig nach Südbaden gelockt hatte, stellten sich bei näherer Betrachtung als Vorboten des Winters mit 10°C und Dauerregen heraus.

Bei so viel Wetter half also nur schnelle Bewegung. Vom Start weg zeigte sich allerdings überraschenderweise niemand verantwortlich für die Führungsarbeit, oder wollte sich lediglich niemand um das Thema „Orientierung im Wald für Anfänger“ kümmern? Schon an der ersten Wegegabelung nach 300 m – wohlgemerkt noch mitten im Ort! – kam es zu ersten Wegfindungsproblemen. Da offensichtlich niemand im Feld – inklusive mir selbst – über fundierte Ortskenntnisse von den südlichen Hängen des malerischen Simonswälder Tals verfügte, ergriff ich schließlich die Flucht nach vorn. So war ich immerhin für mein Schicksal selbst verantwortlich. Um es vorweg zu nehmen, die gesamte Organisation wurde von der Gemeinde Simonswald mit viel Herzblut von den Helfern durchgeführt, und die Markierung der gesamten Strecke mit orangenem Flatterband, Richtungspfeilen und Kreidespray gestaltete sich nicht nur aufgrund der miesen Witterungsverhältnisse schwierig. So hatten wohl über Nacht Witzbolde – oder schlimmer, Läufer-Hasser – an einigen Stellen Markierungen entfernt bzw. geändert. Das führte dazu, dass mich für über die Hälfte der Strecke mehrfach das Fahrzeug der Streckenleitung überholte, Markierungen hinzufügte oder richtigstellte und sich bei mir nach der erfolgreichen Wegfindung erkundigte.

Die restlichen Läufer gingen die Sache sehr ruhig an, ich vertraute jedoch gänzlich meinem Tempogefühl. Stolz, zum ersten Mal einen Wettkampf über so lange Strecken alleine anzuführen, wurde ich jedoch bei KM 26 von der Realität ein- und vom späteren Gesamtführenden überholt. Bei KM 32 wurde ich gar zum zweiten Mal überholt, jedoch ereilte den zwischenzeitlichen 2. das gleiche Schicksal, welches mich am Ende des Tages auch für meine Unachtsamkeit bestrafen sollte: er verlief sich in einer finsteren Talschlucht und merkte sein Missgeschick erst nach einigen Minuten, sodass ich (unwissentlich) wieder auf den 2. Platz vorrückte. An der letzten Verpflegung ca. 4 km vor dem Ziel waren jedoch zwei weitere Verfolger auf wenige hundert Meter herangerückt, sodass mir ein entspannter Zieleinlauf verwehrt blieb. Nach dem letzten Anstieg und einer halsbrecherischen Abfahrt ins Tal trennten mich nur wenige hundert Meter vom 2. Gesamtplatz. An einer scharfen Linkskurve jedoch wurde ich von einer unsichtbaren (höheren?) Macht geradeaus gezogen. Ehe ich mich versah, war ich bereits 700 m in die falsche Richtung gelaufen. Panisch – das Podium schon auf verlorenem Posten sehend – lief ich durch den gesamten Ort zurück und ins Ziel. Auf wundersame Weise konnte ich mit einer Zeit von knapp unter 6 Stunden immerhin noch den 3. Platz in der Tageswertung absichern, dennoch war ich ob des selbst verursachten Missgeschicks mehr als zerknirscht. Zudem erfuhr ich, dass mein Kumpel Gunnar wegen Unterkühlung zur Mitte des Rennens ausgestiegen war, was ebenfalls wenig zur Erheiterung beitrug.

Wiedergutmachung sollte am Folgetag her, zumindest ein Podium in der Altersklasse und ein 5. Platz in der Gesamtwertung wurde als Ziel ausgegeben. Nach kurzer, unruhiger Nacht und zähem Einlaufen waren die Beine erstaunlicherweise vom Startschuss weg gut dabei. Glücklicherweise fanden sich diesmal auch ein paar Einzelstarter, die die Führungsarbeit bereitwillig übernahmen. Bis zur Mitte des Rennens war ich noch guter Dinge und auf Kurs Gesamtpodium, allerdings merkte ich bald, dass ich es aufgrund der Vorbelastung von Samstag in den Downhill-Passagen einfach nicht laufen lassen konnte wie gewohnt. Beim Abstieg vom Tafelbühl wurde ich schließlich von zwei direkten Konkurrenten eingesackt. Fortan lief ich komplett alleine, weder vor noch nach mir ein Läufer zu sehen. Erschöpft, aber überglücklich lief ich nach 3:43 h ins Ziel und konnte mein selbst gestecktes Minimalziel mit einer Punktlandung erreichen. Am Ende blieb die Erfahrung eines spannenden Trail-Abenteuers vor der Haustür, die Erkenntnis, dass es kein gutes Wetter für ein eindrückliches Erlebnis braucht sowie die Lektion, dass am Ende jeder Läufer auch selbst für die Wegfindung verantwortlich ist.

Am Sonntag außerdem erfolgreich unterwegs waren Loreen und Friedrich auf dem „Petit-Trail“, der Trail-Variante über 16,5 km und 850 HM. Beide konnten in ihrer Altersklasse überzeugen und nach 2:04:00 h bzw. 1:29:54 h als 3. bzw. 2. aufs Podium klettern.

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